Die Sicherung der Versicherung. Ferdinand Tönnies als Vorläufer einer Soziologie des Versicherungswesens / Cevolini, Alberto. - In: TÖNNIES-FORUM. - ISSN 0942-0843. - 28:2(2019), pp. 22-33.

Die Sicherung der Versicherung. Ferdinand Tönnies als Vorläufer einer Soziologie des Versicherungswesens.

Cevolini, Alberto
2019

Abstract

Einer der vielleicht am wenigsten bekannten Texte von Ferdinand Tönnies ist ein 1917 in der Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft erschienener Artikel mit dem Titel „Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung“. Aus zahlreichen Gründen verdient dieser Artikel, heute wieder gelesen zu werden. In meinem Vortrag möchte ich insbesondere drei Punkte berücksichtigen dürfen. [1] Zunächst einmal kann gesagt werden, dass Tönnies der erste Soziologe war, der aus streng soziologischer Sicht das Versicherungswesen in Betracht zog. Mit mehr als einem halben Jahrhundert Vorsprung vor der Risikosoziologie von Ulrich Beck (1986), hatte Tönnies eine Überlegung über die Versicherung als eine für die Erfüllung der Risikobewältigungsfunktion grundlegende Einrichtung der modernen Gesellschaft begonnen (Cevolini 2010). [2] Der zweite Punkt betrifft den im Tönnies’ Artikel zentralen Unterschied von Sicherung und Versicherung. Tönnies nimmt an, dass die Versicherung dem Versicherten nicht die Gewissheit des Nichteintretens des Zufalls bietet, sondern nur die Gewissheit, dass im Schadenfall der Versicherte die Minderung seines Vermögens nicht erleiden muss. Tönnies (1917: 610) zufolge kann sich diese Differenzierung von Sicherung und Versicherung „als wichtiges Merkmal des Versicherungswesens herausstellen“. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf Aufmerksam machen, dass eine solche Feststellung für das Verständnis des Versicherungswesens unerlässlich ist, aber auch korrigiert werden sollte. Die Differenzierung, von der Tönnies spricht, ist ein Korrelat der Tatsache, dass die moderne Gesellschaft auf einer im Vergleich zur vormodernen Gesellschaft höheren Abstraktionsebene das Problem der Ungewissheit bewältig, und dass diese Abstraktionsebene nicht den Gemeinschaftsstrukturen sondern den Gesellschaftsstrukturen entspricht (siehe den dritten Punkt). Die Korrektur besteht darin, dass der Versicherte bereits beim Prämienzahlen eine Minderung seines Vermögens erleidet, obwohl er nicht weiß (oder eben weil er nicht wissen kann), ob die Prämie umsonst bezahlt wird. Der Versicherungsnehmer geht in beiden Fällen ein Risiko ein, und zwar sowohl wenn er entscheidet, keine Versicherung zu nehmen, als auch wenn er entscheidet, sich versichern zu lassen (Luhmann 1996). Denn was er zahlt, wenn er sich versichert, ist eine allgemeine Ungewissheit, die auch das Nichteintreten des Schadenfalls mit einbezieht. [3] Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass Tönnies’ Beschäftigung mit der modernen Versicherungseinrichtung von der Überzeugung angeregt worden war, dass eine solche Einrichtung den gesellschaftsstrukturellen Übergang von der Gemeinschaft zur Gesellschaft exemplarisch darstellt. Tönnies’ Beitrag könnte daher als Ausgangspunkt dienen, um den Übergang von einer Gefahrengemeinschaft zu einer Risikogesellschaft weiter zu untersuchen.
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Die Sicherung der Versicherung. Ferdinand Tönnies als Vorläufer einer Soziologie des Versicherungswesens / Cevolini, Alberto. - In: TÖNNIES-FORUM. - ISSN 0942-0843. - 28:2(2019), pp. 22-33.
Cevolini, Alberto
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11380/1184595
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